Am Dienstag, den 28.02.2023, fand zum Tag der seltenen Erkrankungen zum dritten Mal die virtuelle Veranstaltung „Rare Voices Forum“ zum Thema „Gemeinsam Stolpersteine überwinden – Wege und Möglichkeiten für mehr Widerstandskraft bei seltenen Erkrankungen“ statt. An der dreistündigen Veranstaltung haben insgesamt 34 Personen teilgenommen. Die Veranstaltung wurde von der Firma Sobi ausgerichtet.
Das Rare Voices Forum ist eine virtuelle Veranstaltung, die jedes Jahr am Tag der seltenen Erkrankungen stattfindet, um nicht nur mehr Aufmerksamkeit für Betroffene mit einer seltenen Erkrankung zu erreichen, sondern auch um Betroffene zusammenzubringen und einen Raum für den gemeinsamen Austausch zu bieten. Jedes Jahr kommen so Betroffene, Angehörige, Patienten¬vertreter* und Ärzte zusammen, um sich über aktuelle patientennahe Themen und Erfahrungen auszutauschen.
Im diesjährigen Forum war das Thema „Gemeinsam Stolpersteine überwinden – Wege und Möglichkeiten für mehr Widerstandskraft bei seltenen Erkrankungen“, wie Betroffene und Angehörige mit den Herausforderungen einer seltenen Erkrankung stärkend umgehen können.
Im ersten Teil der Veranstaltung lag der Fokus auf den Themen Fatigue** bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) und anhaltenden Schmerzen bei familiärem Mittelmeerfieber (FMF). PD Dr. med. Jens Panse (Oberarzt/Stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation und Medizinische und geschäftsführende Leitung des Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) Aachen) erläuterte den medizinischen Hintergrund der PNH, welche Symptome im Fokus stehen und wieso die Fatigue besonders belastend ist. Im Anschluss folgte ein Interview mit einer PNH-Patientin, die über ihre Erfahrungen mit der Fatigue und deren Auswirkungen auf ihr tägliches Leben berichtete. Im zweiten Beitrag erklärte PD Dr. med. Jürgen Rech (Oberarzt für Rheumatologie und Immunologie und Leiter der Spezialsprechstunde Autoinflammation des Universitätsklinikums Erlangen) FMF aus dem medizinischen Blickwinkel, welche Schmerzarten vorkommen können und wie diese nach aktuellem Kenntnisstand objektiv gemessen werden können. In einem anschließenden Interview teilte eine FMF-Patientin ihre Erfahrungen mit den anhaltenden Schmerzen und welchen Einfluss diese auf ihre Lebensqualität haben.
Sowohl bei PNH als auch bei FMF können die Symptome sehr unspezifisch sein (z. B. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Bauchschmerzen etc.), wodurch die Diagnosestellung für Ärzte zu einer Herausforderung werden kann. Daher können in manchen Fällen lange Zeiträume vergehen, bis die korrekte Diagnose gestellt wird. Die Fatigue und auch wiederkehrende Schmerzen stechen als Symptome der jeweiligen Erkrankung besonders hervor, da sie nicht nur die Lebensqualität von Betroffenen stark einschränken, sondern auch in Arztgesprächen zu einer besonderen Herausforderung werden können. Das Ausmaß beider Symptome lässt sich nicht durch Laborparameter bestimmen, wodurch die Betroffenen häufig in der Beweislast sind und ihnen – aus Mangel an Erfahrung der Behandler – teilweise auch kein ausreichendes Verständnis entgegen-gebracht wird. Aufgrund der Fatigue fehlt den Betroffenen häufig die Kraft, um alltägliche Dinge, wie Duschen oder Einkaufen gehen, zu erledigen. Auch die anhaltenden Schmerzen führen dazu, dass Betroffene ihrem Alltag nicht wie gewünscht nachgehen können. Sowohl die Fatigue als auch die Schmerzen können unvorhergesehen auftreten, wodurch zusätzlich die Flexibilität im Alltag beeinträchtigt wird.
Wie man besser mit der Fatigue oder den Schmerzen umgehen kann, kann individuell sehr unterschiedlich sein. Bei den Interviews mit den Experten und den beiden Patientinnen hat sich herausgestellt, dass bei Fatigue zum Beispiel Bewegung durch – optimalerweise professionell begleitetes – Sport- oder Krafttraining im geringen Maße oder das Führen eines Tagebuches mit Aktivitäten, die man am Tag geschafft hat, helfen kann. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen kann dazu beitragen, besser mit der Erkrankung und der Fatigue umzugehen. In Bezug auf die Schmerzen können zum Beispiel Ausruhen sowie eine kalte Dusche oder sportliche Aktivitäten unterstützen.
In der zweiten Hälfte der Veranstaltung hielt der Psychologe Dr. Matthias Englbrecht einen Impulsvortrag, in dem er die Bedeutung der Selbstfürsorge bei seltenen Erkrankungen hervorhob und den Teilnehmern hilfreiche Tipps gab, wie Selbstfürsorge, also sich selbst wertzuschätzen und aktiv zum eigenen Wohlergehen beizutragen, praktiziert werden kann. Dazu gehörten unter anderem, Zeit für sich selbst zu nehmen, den Alltag so zu organisieren, dass man seine Kräfte dort einsetzt, wo sie für einen wichtig sind oder die kleinen positiven Begebenheiten des Alltags zu schätzen wissen. Ergänzend zu dem Impulsvortrag wurden die Teilnehmer im Anschluss eingeladen, gemeinsam in kleineren Gruppen zu diskutieren, welche Möglichkeiten es gibt, mit herausfordernden Situationen aktiv umzugehen und wie Selbstfürsorge in den Lebensalltag integriert werden kann.
Das diesjährige Forum hat erneut gezeigt, dass nicht nur die Erfahrungsberichte der Patienten sehr wertvoll für die Teilnehmer sind, sondern auch der Austausch mit den Experten auf Augenhöhe gerne angenommen wird. Weiterhin wurde deutlich, dass nicht nur die Herausforderungen, mit denen Betroffene einer seltenen Erkrankung tagtäglich zu kämpfen haben, sondern auch der Umgang damit, individuell sehr unterschiedlich sein können. Was für den einen eine Erleichterung schafft, kann für den anderen eine weitere Belastung bedeuten. Daher sollten Empfehlungen und Tipps immer auf den jeweiligen Patienten und sein Umfeld abgestimmt, subjektiv betrachtet und persönliche Gegeben¬heiten mitberücksichtigt werden. Insbesondere bei Fatigue und Schmerzen, deren Ausprägung primär subjektiv wahrgenommen wird, ist der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit und Aufklärung bei den Ärzten groß, um so das Verständnis für die Betroffenen bei diesen sensiblen Themen zu erhöhen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Austausch unter den Betroffenen und die Unterstützung durch ihr soziales Umfeld weiterhin wichtige Säulen im Umgang mit einer seltenen Erkrankung sind und auch bleiben werden.
Die Veranstaltung wurde unterstützt von den Patientenorganisationen Aplastische Anämie & PNH e.V., itp-information.de, FMF & AID Global Association und dsai e.V..
Weitere Informationen zu Patientenorganisationen rund um die PNH finden Sie auch hier: Stiftung Lichterzellen.
*Der besseren Lesbarkeit halber verwenden wir nur die männliche Form von „Patientenvertreter“, „Arzt“, usw. Selbstverständlich sind damit immer auch weibliche Personen und Menschen mit weiteren Geschlechtsidentitäten gemeint.
**Fatigue ist ein andauernder Erschöpfungszustand, der sich auch durch Ausruhen und ausreichend Schlaf nicht beheben lässt.