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Die Immunthrombozytopenie (ITP, Morbus Werlhof) ist eine seltene sogenannte Autoimmunerkrankung, also eine Erkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen körpereigene Zellen richtet. Sie ist hauptsächlich gekennzeichnet durch eine wiederholte Verminderung der Blutplättchenzahl (Thrombozytopenie) auf Werte von unter 100.000 pro Mikroliter (µl) Blut, verbunden mit einem erhöhten Blutungsrisiko. Es handelt sich um eine erworbene, d.h. nicht erbliche Erkrankung.1

Ursache für die ITP ist eine Autoimmunreaktion gegen körpereigene Thrombozyten und deren Vorstufen, die sog. Megakaryozyten (Riesenzellen). Dabei bildet das Immunsystem Antikörper (Autoantikörper) gegen diese Zellen. Dies führt zu einer gestörten Produktion (Thrombozytopoese) und einem verstärkten Abbau von Thrombozyten (Thrombozytopenie).1

Etwa 80 % der ITP-Erkrankungen entstehen ohne erkennbare auslösende Ursache. Man spricht dann von primärer ITP. Die übrigen Fälle fasst man unter dem Oberbegriff sekundäre ITP zusammen. Bei diesen Formen wird die ITP am häufigsten durch andere Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen (z. B. Lymphom, Leukämie), Virusinfektionen
(z. B. Hepatitis) oder Medikamente ausgelöst.1

Häufigkeit und Verbreitung der ITP

Die ITP ist eine seltene Erkrankung. Unter Erwachsenen sind etwa zwischen 9 und 26 pro 100.000 Personen davon betroffen. Jährlich treten 2 bis 4 Neuerkrankungen pro 100.000 auf.1

Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt zwischen 50 und 55 Jahren und scheint in den letzten Jahren zuzunehmen. Im mittleren Alter sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Ab dem 60. Lebensjahr steigt der Anteil der erkrankten Männer.1

Bei Kindern und Jugendlichen ist die Anzahl der jährlichen Neuerkrankungen mit etwa 2 – 7 pro 100.000 ähnlich wie bei Erwachsenen. Da die ITP bei ihnen jedoch selten chronisch verläuft, ist die Häufigkeit betroffener Kinder und Jugendlicher mit ca. 4 – 5 pro 100.000 deutlich geringer. Jungen erkranken häufiger als Mädchen.1

Symptome der ITP

Charakteristisch für die ITP ist eine erhöhte Blutungsneigung. Häufige Symptome sind daher Haut- und Schleimhautblutungen bei einem Großteil der Patienten.
Dazu zählen:1

  • punktförmige Hautblutungen (Petechien), bevorzugt an den Beinen
  • Blutungen der Schleimhäute von Nase und Mund
  • verstärkte Menstruationsblutungen
  • Blut im Harn und/oder Stuhl
  • verstärkte Blutungen und Neigung zur Bildung von Blutergüssen (Hämatome) schon bei kleinen Verletzungen oder Prellungen

Infolge des verstärkten Blutverlustes kann sich eine Blutarmut (Anämie) mit Eisenmangel (Eisenmangelanämie) entwickeln.1

Viele Patienten leiden zusätzlich an Erschöpfung und Müdigkeit (Fatigue) sowie Depressionen. Auch kognitive Funktionen, d.h. geistige Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Erkennen und Denken sind manchmal beeinträchtigt.1

Dementsprechend ist die Lebensqualität bei vielen Patienten mit ITP sehr stark eingeschränkt. Dies gilt insbesondere zu Beginn, wenn häufig Blutungssymptome auftreten und die Betroffenen erst lernen müssen, mit der Erkrankung umzugehen.1

Stadieneinteilung und Verlauf der ITP

Die ITP wird je nach Dauer in drei Stadien eingeteilt:1

  • neu diagnostiziert: bis zu 3 Monate nach Diagnosestellung
  • persistierend: zwischen 3 und 12 Monate nach Diagnosestellung
  • chronisch: mehr als 12 Monate nach Diagnosestellung

Bei Erwachsenen, insbesondere im Alter über 60 Jahren, ist das Risiko für einen chronischen Verlauf allgemein höher als bei Kindern und Jugendlichen. Etwa 50-70% der erwachsenen und 20 – 30 % der Patienten im Kindes- und Jugendalter entwickeln einen chronischen Verlauf.

In jedem Stadium kann es spontan zu einem Zustand der Symptomfreiheit (Remission) kommen. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Spontanremission nimmt jedoch mit der Erkrankungsdauer ab. Nach heutigem Wissensstand erreichen etwa ein bis zwei Drittel der erwachsenen Patienten mit chronischer ITP zum Teil auch noch nach vielen Jahren eine vollständige oder teilweise geltende (partielle) Remission. Im Einzelfall lässt sich ein chronischer Verlauf bzw. die Aussicht auf Remission jedoch nicht vorhersagen.1

Bei Kindern und Jugendlichen gibt es einige Hinweiskriterien für eine Remission, wie Alter, vorausgegangene Infektionskrankheit, Thrombozytenwert und Blutungsstärke bei Diagnose. Kinder unter 10 Jahren haben höhere Chancen für eine Remission.1

Durch neuere Medikamente ist die Prognose, also die Aussicht auf einen günstigen Erkrankungsverlauf, in den letzten Jahren deutlich verbessert worden.1

Diagnose der ITP

Es gibt keine Ergebnisse von Labortests oder sonstigen Untersuchungen, die das Vorhandensein einer ITP belegen. Die Diagnose ITP wird gestellt, nachdem andere Erkrankungen, die möglicherweise infrage kommen könnten, ausgeschlossen wurden.1

Die in der Leitlinie zur ITP1 für Ärzte empfohlene Diagnosestellung umfasst eine Erstdiagnostik (Basisdiagnostik) zu Beginn bzw. bei Verdacht auf ITP und ggf. eine weiterführende Diagnostik bei länger anhaltendem Erkrankungsverlauf.1

Zur Erstdiagnostik gehören:1

  • Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese): Fragen nach wichtigen (Vor-)Erkrankungen, aktuellen und früheren Blutungen, Infektionen, Medikamenten, Alkoholkonsum, Schwangerschaft, früheren Blutgerinnseln (Thrombosen) etc. beim Patienten sowie ggf. bei Familienangehörigen (Familienanamnese)
  • Körperliche Untersuchung, insbesondere im Hinblick auf Anzeichen für Blutungen oder anderen Veränderungen an Haut und Schleimhäuten; Untersuchung der Lymphknoten, der Leber und der Milz
  • Laboruntersuchungen des Blutes:
    - Blutbild (Zahl der Blutzellen),
    - Blutausstrich zur Beurteilung von Form, Größe und Aussehen der Blutzellen unter dem Mikroskop
    - Gerinnungstests: Thromboplastinzeit (Quick-Wert, INR), (aktivierte) partielle Thromboplastinzeit ([a]PTT), Fibrinogen
  • ggf. Untersuchung des Knochenmarks
  • Weitere Laboruntersuchungen, darunter v.a.
    - Suche nach Autoantikörpern gegen rote Blutzellen (Erythrozyten)
    - Blutzuckerbestimmung (zum Ausschluss eines Diabetes mellitus [Zuckerkrankheit])
    - Urinuntersuchung auf Blut
    - Stuhltest auf Blut

Im Rahmen einer weiterführenden Diagnostik bei persistierender oder chronischer ITP müssen ggf. weitere spezifische Untersuchungen eingeleitet werden, um andere Erkrankungen auszuschließen. Dazu gehören u. a. eine Knochenmarkuntersuchung, der Nachweis von Autoantikörpern oder Infektionen (v.a. Virushepatitis und HIV) sowie Röntgen- und/oder Ultraschalluntersuchungen (Sonografie).1

Behandlungsmöglichkeiten bei ITP

Die Behandlung der ITP erfordert Erfahrung. Medizinische Experten der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) haben in einer Leitlinie1 wissenschaftliche Handlungsempfehlungen herausgegeben, an denen Ärztinnen und Ärzte sich bei der Diagnose und Behandlung von ITP-Patienten orientieren können. Diese Empfehlungen werden immer wieder aktualisiert und an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand angepasst.

Nicht jeder Patient mit ITP muss behandelt werden. Bei der Entscheidung, ob eine Behandlung notwendig ist, orientiert man sich nicht nur an der Blutungsneigung und der Thrombozytenzahl, sondern auch am Krankheitsstadium und -verlauf sowie an individuellen Merkmalen des Patienten (z. B. Alter, psychosoziale Situation, Vor- oder Begleiterkrankungen).1

In bestimmten Fällen, insbesondere bei fehlender oder minimaler Blutungsneigung, kann man in Absprache mit dem Patienten auf eine Therapie verzichten und abwarten, wobei der Verlauf von Thrombozytenwerten und Symptomen weiterhin beobachtet wird. Man spricht dann von einer „Watch and Wait“-Strategie.1

Bei der Behandlung unterscheidet man zwischen einer Erstlinientherapie zu Beginn der Erkrankung, wenn die Patienten erstmals wegen ihrer ITP behandelt werden, und einer Zweit- oder Drittlinientherapie, die erforderlich sein kann, wenn die zuvor eingesetzten Behandlungsmaßnahmen nicht (ausreichend) wirksam sind oder der Patient sie nicht verträgt.1

Erstlinientherapie

Standardbehandlung zu Beginn der Erkrankung (First line-/Erstlinientherapie) bei erwachsenen Patienten ist die Einnahme eines Kortison-Präparats (Glukokortikoid, Steroid, Kortikosteroid) in Tablettenform. Dieses wirkt in erster Linie immunsuppressiv, d.h. es unterdrückt die unerwünschte Immunreaktion, indem es die gegen Thrombozyten gerichteten Autoantikörper hemmt. Dadurch lässt sich zumeist eine Zunahme der Plättchenzahl erreichen. Nach Absetzen fällt der Wert jedoch in der Regel wieder ab. Die längerfristige Einnahme von Glukokortikoiden führt sehr häufig zu Nebenwirkungen. Deshalb sollte die Therapie laut Leitlinie nicht länger als 6 Wochen dauern.1

Zweitlinientherapie

Da es nach Glukokortikoid-Therapie sehr häufig zu einem Rückfall (Rezidiv) der ITP und einem Fortschreiten (Progression) in die chronische Phase kommt, ist in vielen Fällen eine Zweitlinientherapie (Second line-Therapie) erforderlich.3

Wirkstoffe, die laut Leitlinie dafür infrage kommen, sind u. a. verschiedene Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TPO-RA) oder ein sogenannter Spleen Tyrosin-Kinase (SYK)-Inhibitor.1

Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TPO-RA) sind sog. Thrombozyten-Wachstumsfaktoren, die die Wirkung des körpereigenen (endogenen) Wachstumsfaktors Thrombopoetin (TPO) nachahmen. Dieses Hormon wird in der Leber gebildet und kontinuierlich in den Kreislauf ausgeschüttet. Im Knochenmark fördert TPO die Weiterentwicklung von Stammzellen zu Megakaryozyten (Thrombozyten-Vorstufen) sowie die Reifung und anschließende Freisetzung funktionsfähiger Thrombozyten in den Kreislauf. Somit wirken TPO-RA ebenfalls, indem sie die Plättchenproduktion steigern. 4,5 Mehrere Wirkstoffe aus dieser Gruppe sind zur Behandlung der ITP zugelassen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich Art und Häufigkeit ihrer Verabreichung. TPO-RA sind deutlich besser verträglich als Glukokortikoide oder andere ITP-Therapien. Die häufigste Nebenwirkung in Studien über 6 Monate waren Kopfschmerzen.4,1

Ein weiteres zur Behandlung der ITP zugelassenes Arzneimittel gehört zur Wirkstoffgruppe der sog. Tyrosin-Kinase-Inhibitoren (TKI). Es wirkt über eine Hemmung (Inhibition) des Enzyms Spleen (Milz-) Tyrosin-Kinase (SYK). Dieses spielt eine bedeutende Rolle beim Abbau von Thrombozyten.1

Drittlinientherapie

Insbesondere in der dritten Linie, d. h. bei fehlendem Ansprechen auf eine Zweitlinientherapie werden darüber hinaus auch noch andere Medikamente – alleine oder in Kombination – eingesetzt, die jedoch nicht alle für dieses Anwendungsgebiet zugelassen sind. Dazu zählen sog. Immunsuppressiva, also Wirkstoffe, die immunologische Reaktionen unterdrücken, sowie ein monoklonaler Antikörper, der zur Zerstörung bestimmter Immunzellen (B-Lymphozyten) führt, welche die gegen Thrombozyten gerichteten Autoantikörper bilden.1

Operative Entfernung der Milz (Splenektomie)

Einziges nicht-medikamentöses Behandlungsverfahren bei ITP ist die operative Entfernung der Milz (Splenektomie). Da Blutzellen überwiegend in der Milz abgebaut werden, lässt sich der (vermehrte) Abbau von Thrombozyten dadurch verhindern. Allerdings erreichen nur etwa 60 % der Patienten dauerhaft eine Remission. Der Eingriff ist nicht mehr rückgängig zu machen. Nachteilig ist zudem ein lebenslang erhöhtes Risiko für Infektionen. Heute werden Splenektomien nur noch selten durchgeführt.1

Notfalltherapie

Im Notfall, d. h. bei schweren und lebensbedrohlichen Blutungen oder vor nicht aufschiebbaren Operationen werden neben Glukokortikoiden zusätzlich Immunglobuline verabreicht, um eine Blutstillung zu erreichen. Immunglobuline blockieren den Abbau von mit Antikörpern beladenen Thrombozyten, sodass deren Zahl kurzfristig zunimmt. Eine andere Möglichkeit, die Thrombozytenzahlen rasch anzuheben, besteht in der Gabe von Spender-Thrombozyten. Bei sehr schweren Blutungen kann zusätzlich zu diesen Maßnahmen die frühzeitige Anwendung von Medikamenten wie Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten erwogen werden, die jedoch für die Notfalltherapie nicht zugelassen sind.1

Besonderheiten der Behandlung bei Kindern und Jugendlichen

Für Kinder und Jugendliche mit ITP gibt es bisher keine Standardtherapie. Deshalb sollten diese Patienten in spezialisierten Zentren behandelt werden, in denen entsprechende Erfahrungen vorliegen.1

Bei Kindern mit neu diagnostizierter ITP ist oft keine Behandlung erforderlich. Bei der Entscheidung, ob eine Therapie eingeleitet werden soll, sind nicht nur Blutungsrisiko und Thrombozytenzahl, sondern auch individuelle Gesichtspunkte wie Alter, psychosoziale Situation sowie Risikofaktoren (z. B. Verletzungsanfälligkeit) zu berücksichtigen. 

Vorgehen vor Operationen und Zahneingriffen

Vor diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen muss die Thrombozytenzahl angehoben werden, um das Blutungsrisiko zu reduzieren. Bei notfallmäßigen Eingriffen ist in der Regel eine Notfalltherapie erforderlich. In den übrigen Fällen, also bei planbaren Maßnahmen sollte der Termin so gewählt werden, dass vorher genügend Zeit bleibt, um die Thrombozytenwerte mit Glukokortikoiden oder Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten anzuheben.

1.    Matzdorff A et al. Oncol Res Treat 2023; 46 (suppl 1): 7 – 53 Online verfügbar unter: https://doi.org/10.1159/000528819 
2.    Neunert CE. Blood 2017;1: 400–405
3.    Al-Samkari J, Kuter DJ. Ther Adv Hematol 2019; 10: 1–13
4.   Mitchell O, Feldman DM, Diakow M et al. Hepatic Med 2016; 8: 39–50