Martinsried, Deutschland, 23.03.2021
Für die sehr seltene Erbkrankheit Alkaptonurie (AKU) steht mit Orfadin® (Wirkstoff Nitisinon) nun erstmals seit der Entdeckung vor 130 Jahren1 eine medikamentöse Behandlung zur Verfügung. Die Zulassung erstreckt sich auf die Behandlung aller erwachsenen Patienten mit AKU.2 Orfadin® konnte in der Zulassungsstudie die Homogentisinsäure-Konzentration im Urin um 99,7 % senken und so die Ochronose (Pigmentierung) und die damit verbundenen klinischen Symptome reduzieren.3 Ziel muss nun sein, die Stoffwechselstörung rechtzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln, bevor die pathologische Pigmenteinlagerung beginnt.
AKU wurde bereits 1890 als erste humane Erbkrankheit entdeckt1 und betrifft weltweit ungefähr 1 von 250.000 bis 1 Million Menschen.4 In Deutschland gibt es nach Auskunft der DSAKU (Deutschsprachige Selbsthilfegruppe für Alkaptonurie e.V.)5 zurzeit etwa 165 diagnostizierte Patienten. Bei der AKU kommt es infolge von Mutationen im Metabolismus der Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin zu einer starken Akkumulation des Zwischenprodukts Homogentisinsäure (HGA), da das weiter abbauende Enzym (Homogentisat-Dioxygenase) fehlt bzw. hinsichtlich Menge oder Funktionalität stark reduziert ist (Abb. 1).
Charakteristische Merkmale der AKU
Die Akkumulation von HGA führt zu einer Dunkelfärbung des Urins und längerfristig zu einer Verfärbung der Skleren und der Ohrmuscheln (Ochronose) sowie der Gelenke (ochronotische Arthropathie) (Abb. 2).
Es entstehen unter anderem schmerzhafte arthrotische Veränderungen der Wirbelsäule und der Großgelenke, denen bisher nur mit Analgesie und lindernder Begleittherapie sowie Endoprothetik begegnet werden konnte.6
Frühzeitige Diagnostik, möglichst bevor die Ochronose einsetzt
Anhand der, zeitversetzt nach Exkretion erfolgenden, Dunkelfärbung des Urins bzw. Stuhls kann die Erkrankung bereits sehr frühzeitig erkannt werden. Zudem ist die HGA-Konzentration im Urin bei betroffenen Kindern bereits um das 300–500-Fache erhöht.6 Bisher sind diese Untersuchungen jedoch kein regulärer Bestandteil des Neugeborenen-Screenings oder der pädiatrischen Vorsorge. Folglich wird die Erkrankungen häufig erst diagnostiziert, nachdem bereits Ochronose und / oder Gelenkschäden aufgetreten sind.9-10 Auch im Kontext chirurgischer Eingriffe kann es zur Diagnose einer AKU kommen. Durch Einlagerung in den Knochen und die damit einhergehende auffällige Verfärbung ist die AKU auch als „black bone disease“ bekannt.11 Für die Betroffenen ist es daher umso wichtiger, dass bei unterschiedlichen Facharztgruppen ein Bewusstsein für diese seltene Erkrankung geschaffen wird. Ziel muss es sein, die sich sukzessiv herausbildende Symptom-Triade aus koloriertem Urin (ab Geburt), Ochronose (meist im Alter von ca. 30 Jahren) und ochronotischer Arthropathie (meist im Alter von ca. 40-60 Jahren)4,10,12-14 möglichst frühzeitig zu erkennen, um einer weiteren Akkumulation von Metaboliten und den resultierenden Folgeschäden entgegen zu wirken.
Lebensstilintervention
Bisher waren die Möglichkeiten zur Behandlung einer AKU limitiert. Es gab keine Arzneimittel welche die Akkumulation von HGA hemmen können.3 Neben der Gabe von Vitamin C als mildem Reduktionsmittel kann versucht werden die HGA-Akkumulation durch eine Phenylalanin und Tyrosin reduzierte Diät zu verlangsamen.6 Weitere Behandlungsoptionen adressierten erst eingetretene Folgeschäden.5 Zudem sollte durch Lebensstilintervention Mikroschäden des Bewegungsapparates vorgebeugt werden, das heißt, Sportarten mit hohem Stauchungspotenzial sind ungünstig.5
Hauptsächlich bestanden die Maßnahmen bisher jedoch darin, die Folgen der Ochronose mittels Schmerztherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, gelenkschonendem Funktionstraining sowie bedarfsweisen chirurgischen Eingriffen durch Gelenkendoprothesen, Entfernung der Nieren- oder Prostatasteine und Herzklappenersatz zu behandeln.6
Kooperation ermöglicht zielgerichtete Therapie
Ab einem Alter von 18 Jahren ist nun eine Behandlung mit Orfadin® indiziert. Das Präparat ist bereits seit 2005 (ohne Altersbeschränkung) zur Behandlung der angeborenen Tyrosinämie Typ 1 (HT-1) in Kombination mit eingeschränkter Aufnahme von Phenylalanin und Tyrosin in der Nahrung zugelassen.2 Im Oktober 2020 wurde nun der Zulassungsbereich auf erwachsene AKU-Patienten mit einer Standard-Dosis von 10 mg/Tag und ohne Diätvorgaben ausgeweitet.2 Somit steht nun ein Medikament zur Verfügung, welches auf die pathophysiologischen Ursachen von AKU abzielt und im Rahmen der Zulassungsstudie gezeigt hat, dass es die Bildung von HGA fast vollständig unterbinden konnte.3
Ermöglicht wurde die Zulassung durch DevelopAKUre, ein Entwicklungsprogramm, an dem neben Sobi maßgeblich die AKU-Gesellschaft und klinische Experten beteiligt waren.15 So konnte trotz der Seltenheit der Erkrankung eine dreistellige Patientenzahl in die Zulassungsstudie SONIA 23 eingeschlossen werden. Das Forschungskonsortium DevelopAKUre stellt damit ein erfolgreiches Beispiel für eine patientenzentrierte Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zur Behandlung einer äußerst seltenen Krankheit dar.
SONIA 2: Reduktion der HGA-Konzentration um 99,7 %3
An der randomisierten placebo-kontrollierten Zulassungsstudie SONIA 2 nahmen 138 erwachsene Alkaptonurie-Patienten (Alter > 25 Jahre) aus Großbritannien, Frankreich und der Slowakei teil. Sie erhielten über 4 Jahre einmal täglich 10 mg Nitisinon oder Placebo. Die Untersuchungen fanden zu Beginn (Baseline) sowie nach 3, 12, 24, 36 und 48 Monaten statt.
Die HGA-Konzentration im 24-Stunden-Urin war in der Verumgruppe zu allen Messzeitpunkten signifikant reduziert im Vergleich zu Placebo. Nach 12 Monaten betrug die Reduktion 99,7 %: In der Placebogruppe befand sich zu diesem Zeitpunkt durchschnittlich 26.444 µmol und in der Nitisinon-Gruppe 179 µmol HGA/24-h-Urin (Abb. 3A).
Diese fast vollständige Hemmung der HGA-Akkumulation führte auch zu einer deutlichen Verlangsamung der Krankheitsprogression, wie die Studienautoren feststellten (Abb. 3B).
Zielsetzung: Krankheitsprogression verlangsamen oder sogar aufhalten
Aus dem erfolgreichen Studienprogramm lassen sich folgende Ziele für die Behandlungspraxis ableiten:
Die Blockade des Tyrosin-Pathways konnte in der SONIA 2-Studie die Bildung von HGA fast vollständig unterdrücken.3 Dies lässt hoffen, die irreversiblen Spätfolgen der Krankheit in Zukunft weitgehend vermeiden zu können.
Über SobiTM
Sobi TM, ein internationales Pharmaunternehmen und Spezialist für seltene Erkrankungen, hat sich auf Therapien spezialisiert, die das Leben von Patienten mit seltenen Erkrankungen langfristig ver¬ändert. Sobi bietet nachhaltigen Zugang zu innovativen Therapien in den Bereichen Hämatologie, Immunologie und Specialty Care. Heute beschäftigt Sobi rund 1.500 Menschen in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten und Asien. Im Jahre 2020 belief sich der Umsatz von Sobi auf 15,3 Milliarden SEK.
Weitere Informationen finden Sie auf unseren Webseiten www.sobi-deutschland.de oder www.sobi.com.
Kontakt
Swedish Orphan Biovitrum GmbH
Dr. rer. nat. Felix Schröder
Medical Director DACH
Tel.: +49 89 550 66 76-0
E-Mail: [email protected]
Literatur:
1 Garrod, AE. Lancet. 1902:2, 1616-1620
2 Fachinformation Orfadin; Stand Oktober 2020
3 Ranganath LR et al. Lancet DE. 2020
4 Phornphutkul C et al N Engl J Med 2002; 347: 2111-21
5 DSAKU: http://www.dsaku.de/
6 Itrone W J et al 2003 NIH Gene Reviews; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/
7 Morrow G, Tanguay RM. Biochemical and Clinical Aspects of Hereditary Tyrosinemia Type 1.
In R.M. Tanguay (ed.), Hereditary Tyrosinemia, Advances in Experimental Medicine and Biology
2017,DOI 10.1007/978-3-319-55780-9_2
8 Ranganath LR et al. JIMD. 2011
9 Rudebeck et al. JIMD Rep. 2020)
10 Ranganath LR et al. J Clin Pathol. 2013
11 AKU Society: https://akusociety.org/
12 Cox T et al. BMJ Innov. 2019
13 O’Brien WM et al. Am J Med. 1963
14 Zannoni VG et al. Biochim Biophys Acta. 1969
15 Psarelli, et al. Trials 14, P29 (2013). https://doi.org/10.1186/1745-6215-14-S1-P29